Συνέντευξη της Ρένας Δούρου στην γερμανική εφημερίδα Die Zeit,16 Μαΐου 2012
Der grosse Kehraus
Von Mattias Krupa
Wer wird Griechenland regieren? Die EU hoff t, dass die alten Volksparteien weitermachen können – aber genau die wollen die Griechen loswerden
Es gibt Momente, in denen alles gleichzeitig geschieht. Man brauchte dann dringend mal einen freien Tag oder zumindest ein paar Stunden, um die Dinge zu sortieren. Rena Dourou sitzt im Wohnzimmer ihrer Mutter, auf dem Tisch steht ein Strauί Blumen. Rote und weiίe Rosen, ein praechtiges Bouquet, auch in Griechenland wird Muttertag gefeiert. Ihr Handy klingelt, der Fernseher laeuft, Dourou muss bald wieder los. Seit einer Woche ist Rena Dourou gewählte Abgeordnete des griechischen Parlaments, eine von 52 Vertreterinnen der linksradikalen Syriza. Jener Partei, die die politischen Verhaeltnisse in Athen auf den Kopf gestellt hat und in Berlin und Brόssel fόr Alarmstimmung sorgt.
Gibt es nun eine neue Regierung? »Ich weiss es nicht«, sagt Dourou. Vor zehn Minuten gab es noch keine, nun hat sie den Ton am Fernseher ausgeschaltet. Stumm laufen die immer gleichen Bilder der immer gleichen Verhandlungen όber den Bildschirm.
Wer weiί, was in den vergangenen zehn Minuten besprochen wurde? Der Vorsitzende der Syriza, Alexis Tsipras, hat das Programm, das die EU, der IWF und die bisherige griechische Regierung beschlossen haben, ein »Verbrechen « genannt. Zugleich haben Rena Dourou und ihre Mitstreiter den Waehlern versprochen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben koenne. So ist Syriza bei der Wahl die zweitstärkste Partei geworden, eine radikale politische Kraft, wenn auch bei Weitem nicht die radikalste im neuen Parlament.
»Wir wollen eine europäische Loesung«, sagt Rena Dourou. »Aber Herr Schoeuble vertritt nicht die Euro-Zone.« Und die Griechen seien nicht die Einzigen, die unter der Austeritätspolitik leiden. Es sei daher ein guter Zeitpunkt, um όber die Bedingungen des griechischen Hilfsprogramms neu zu verhandeln. Aber was ist, wenn die EU nicht noch einmal verhandeln will? Hypothetische Fragen koenne sie nicht beantworten, sagt sie. Sie ist mόde, hat in den vergangenen Tagen pausenlos Interviews gegeben. Le Monde, Al-Dschasira, Guardian. Sie brauchte dringend mal etwas Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Es gibt Momente, in denen alles ganz klar wird.
In denen die Möglichkeiten, die man tage-, wochen-,monatelang hin und her gewälzt hat, auf einen einzigen Punkt zusammenschnurren. Auf eine einfache Frage. Die Griechen mόssten sich nun entscheiden, ob sie das bisherige Hilfsprogramm akzeptieren oder ablehnen. Ob sie den Euro behalten oder zur Drachme zurόckkehren wollen. Eine andere Moeglichkeit, neue Verhandlungen gar, gebe es nicht. So oder so aehnlich haben das in den vergangenen Tagen die Verantwortlichen in Brόssel, in Berlin und in manchen anderen Hauptstaedten gesagt.
Die EU sucht nach Gewissheiten, doch die gibt es in Athen nicht
Die Geduld mit Griechenland geht zu Ende. Hunderte von Milliarden, unzählige Treffen, zig Verhandlungsnoechte – all das haben die Europäer investiert, um einen Weg zu finden, der es erlauben wόrde, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben kann. Und nun das! Eine Wahl, die alles wieder infrage stellt. Populisten, die nassforsche Briefe schreiben, die EU herausfordern und dafόr auch noch gewählt werden. Ein Land, das sich nicht entscheiden kann. Ganz einfach. So sehen das viele in Berlin und in Brόssel. Die deutschen und die europäischen Politiker wollen endlich Antworten hören aus Athen. Sie wollen wissen, wie sich das Land seine Zukunft vorstellt. Wer ihre Ansprechpartner sind, was nun gilt.
Sie wollen wissen, wofόr sie all die Milliarden einsetzen. Sie suchen nach Gewissheiten, doch Gewissheiten gibt es in Griechenland vorerst nicht. Das Divani Caravel ist einer jener Hotelkästen, die es όberall auf der Welt gibt. Breite Auffahrt, groίe Lobby, schwere Sessel. Gerade hat Evangelos Venizelos, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Pasok, hier zu seiner Partei gesprochen. Nun stehen die Mitglieder in kleinen Gruppen beieinander. Dort hinten am Tisch, das war bislang der Minister fόr öffentliche Sicherheit. Ein paar Meter weiter gestikuliert der Gesundheitsminister. Mächtige Männer, die vor den Trόmmern ihrer Macht stehen. Stόtzen eines Systems, das nicht mehr existiert. Ruinenbewohner. Streng genommen, existiert auch die Pasok nicht mehr. Erst hatten die Waehler die Partei, die das Land fast vier Jahrzehnte lang gepraegt hat, pulverisiert.
Fόnf Tage später hat Parteichef Venizelos alle Parteigremien aufgelöst und allen Mitgliedern gekόndigt. Ein symbolischer Schlussstrich, eine dramatische Geste. »Das Votum der Wähler war streng, aber fair«, sagt Dimitris Karydis. Auch der Pasok-Abgeordnete aus Piräus hat sein Mandat verloren. »Jetzt mόssen wir ganz von vorne anfangen.« Um eine Vorstellung vom Ausmaί der Erschόtterung zu bekommen, die die Wahl in Griechenland ausgelöst hat, reicht es schon, sich nur hier in der Hotellobby umzugucken und umzuhören. Dumm nur, dass die Pasok fόr die EU bislang der wichtigste Ansprechpartner in Athen war. Das erste und das zweite Hilfsprogramm, die Sparpakete und Reformgesetze – das alles haben die Europäer im Wesentlichen mit Pasok-Vertretern verhandelt. Von Brόssel aus gesehen, waren Pasok und – mit Abstrichen – die konservative Nea Dimokratia berechenbare Gröίen, Garanten dafόr, dass die notwendigen Reformen endlich eingeleitet wόrden. Fόr die meisten Griechen hingegen tragen diese beiden Parteien die Hauptschuld an der Misere ihres Landes. Seit dem Sturz der Militaerdiktatur 1974 haben sich Pasok und Nea Dimokratia in der Regierung abgelöst. Schulden, Klientelismus, Lόgen, Korruption, das alles ist ihr Erbe. Selbst der Pasok-Abgeordnete Karydis räumt ein: »Die Krise war notwendig, war die Wahl vom 6. Mai fόr viele Griechen ein Akt der Befreiung. Auίerhalb Griechenlands ist sie als ein Zeichen von Unreife gedeutet worden, als Indiz fόr einen sich verschärfenden Realitätsverlust. Man kann der EU nicht vorwerfen, dass sie in der Vergangenheit mit Pasok und Nea Dimokratia verhandelt hat. Schlieίlich handelte es sich um die beiden Parteien, die bislang die Regierung stellten.
Nun hoffen noch immer viele in Brόssel darauf, dass die beiden Parteien auch kόnftig regieren werden. Oder zumindest eine Regierung aus Technokraten unterstόtzen, wie es der Staatspräsident Karolos Papoulias am Montagabend, bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe, vorschlug. Doch diejenigen, die aus EU-Sicht die richtigen Partner fόr einen Neuanfang wären, sind fόr die Griechen genau die falschen: Gerade jene Griechen, die ihr Land neu aufbauen wollen, wόnschen sich nichts mehr, als die alten Kraefte endlich loszuwerden. Nur, welches werden die neuen Kraefte sein?
Neue Gesichter gibt es jetzt viele im Parlament: Da ist einer wie Pavlos Kontogiannidis, er war bislang Schauspieler und Komödiant, nun ist er Abgeordneter. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, darόber eine abgegriffene Lederweste. Seine wachen Augen funkeln hinter einer roten, runden Brille, auf dem Kopf sitzt eine schwarze Stoffmόtze. Schuld am griechischen Leid, sagt Kontogiannidis, seien Pasok und Nea Dimokratia, die Finanzmärkte, die Banken, der IWF. Die deutsche Kanzlerin lässt er gnädig aus. Dafόr zitiert er Bertolt Brecht. Das EU-Programm – in Griechenland heiίt es Memorandum – ist fόr ihn Ausdruck einer »wirtschaftlichen Besatzung«. In Deutschland wόrde man einen wie ihn am ehesten bei der Linkspartei vermuten, vielleicht noch bei den Piraten. Doch Kontogiannidis ist bei den Unabhängigen Griechen gelandet, weit auf der politischen Rechten.
Wirtschaft, politische Kultur, Mentalität – alles muss sich aendern
Da ist auch einer wie Yannis Panousis. Er betrachte das politische System, sagt der Kriminologe lachend, mit einer »perversen Wissenschaftlichkeit«. Nun ist er selbst Teil dieses Systems, als Abgeordneter der gemäίigten Demokratischen Linken. Alles mόsse sich ändern, das Wirtschaftsmodell, die politische Kultur, die griechische Mentalität, sagt Panousis: »Wir mόssen den Nachweis erbringen, dass wir ein seriöser Staat sind.« Das Memorandum stellt er nicht grundsätzlich infrage. Mit einem wie Panousis könnte die EU gut leben, mit dem Komödianten Kontogiannidis kaum, mit der Syriza-Abgeordneten Dourou vielleicht.
Je nachdem, was herauskommt, wenn sie endlich Zeit zum Nachdenken findet. Rechts und links, Populismus und Verantwortung, Aufbruch und Abbruch – es geht gerade vieles durcheinander in Athen. Und kurz ertappt man sich bei dem Gedanken, dass man auch etwas anderes in dieser Unordnung erkennen könnte: etwas Bedeutsames, einen demokratischen Aufbruch.
Aber die wichtigste Frage, die eine neue Regierung beantworten muss, ist jene nach dem EU-Programm. Die simple Unterscheidung in Pro-Memorandum-Parteien und Anti-Memorandum-Lager taugt nicht als Indikator dafόr, ob eine Partei fόr oder gegen Europa ist. »Sollen wir etwa den Kontinent tauschen?«, fragt Pavlos Kantogiannidis mit sicherem Gespόr fόr die Pointe: »Wer nimmt uns dann, vielleicht Afrika?«Der Wunsch nach Eindeutigkeit fόhrt in Griechenland gerade nicht weiter. »Wenn die Menschen vom Memorandum sprechen«, sagt der griechische Journalist Nick Malkoutzis, »meint jeder etwas anderes. Fόr die einen ist es ein Synonym fόr Besatzung, die Nächsten denken ans Sparen, die Dritten an Finanzhilfen und die Vierten an Reformen.
« Entsprechend unterschiedlich sind die Vorstellungen der Parteien, was genau mit der EU neu verhandelt werden mόsste. Akzeptieren die Griechen das Memorandum, oder lehnen sie es ab? Werden sie den Euro behalten oder zur Drachme zurόckkehren? Die moisten Reformen werden von der Mehrheit der Griechen unterstόtzt, Umfragen haben das immer wieder gezeigt. Das gilt auch fόr jene Reformen, die wehtun und Arbeitsplätze kosten, wie etwa den Abbau des kleptokratischen Staatsapparats. Aber an der Frage, wie viel in welcher Zeit noch gespart warden kann, scheiden sich die Geister. »Wir brauchen Zeit«, sagt der Kriminologe Panousis.
Ein politisches System, eine politische Kultur aendere sich nicht von heute auf morgen. Zeit? In Brόssel und in Berlin reagiert man da empoert. Das griechische Drama ist jetzt im dritten Jahr. Alle
Fragen, die wieder auf dem Tisch liegen, sind schon hundertmal diskutiert worden. Die Griechen, heiίt es, mόssen sich endlich entscheiden. »Die EU hat recht, wir haben viel Zeit vertan«, sagt Yannis Panousis. »Aber in der Politik geht es nicht darum, recht zu haben, sondern um die Frage, was funktioniert.« Nach Ausschreitungen reinigen Putzfrauen den Gehweg vor dem Athener Syntagma-Platz.